Tee für Genießer von James Norwood Pratt

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Tee – ein Getränk voller Geheimnisse; in China seit Jahrtausenden kultiviert, von buddhistischen Mönchen verfeinert und in weitere Länder Ostasiens getragen. Als der Westen in der Neuzeit auf den Geschmack kam, dauerte es noch einmal Jahrhunderte, bis die Verfahren des Anbaus und der Herstellung außerhalb von Ostasien bekannt wurden. Grüner Tee, schwarzer Tee, weißer Tee, brauner Oolong-Tee – alles gewonnen von einer Pflanze. Heute steht diese Schatzkammer weit offen. James Norwood Pratt erzählt die Geschichte und die Geschichten vom Tee. Der ausgewiesene Teekenner von internationalem Rang erschließt dem Leser die Geheimnisse einer faszinierenden Welt. Dieses Buch empfiehlt der Teehändler seinen Kunden.

238 Seiten, gebunden, farbige Abbildungen

Meine Beziehung zum Tee (aus dem Vorwort)

Wenn ich an meine frühen Erinnerungen denke, so scheint mir manchmal, dass ich eine besondere Beziehung zu jenem Naturwunder geerbt habe, welches das Thema dieses Buchs darstellt. Mein eigenes Leben und das Leben meiner Vorfahren scheint von Tee durchdrungen zu sein. “Eistee” und “heisser Tee” waren bei uns im Süden feste Bestandteile des täglichen Lebens, obschon wir das Wort “Tee” ohne zusätzliche Bezeichnungen kaum je verwendeten. Richtig zubereiteter heisser Tee war bei uns zu Hause eine typische Erfahrung des Winters, gelegentlich auch eine besondere Wohltat, wenn wir fiebernd im Bett lagen und von jenen geheimnisvollen Empfindungen heimgesucht wurden, welche eine Krankheit bei Kindern hervorruft. Zum Tee gehörte bei uns immer Zucker und Zitrone; ich glaube nicht, je vernommen zu haben, dass man stattdessen Milch in den Tee geben könne.

Der einzige Mythos über Tee, den mein Ohr als Junge je erreichte, war die Meinung, wenn er gut sei, müsse er aus dem Handelshaus First Colony kommen. Wir Leute von Carolina und auch die Leute von Virginia schworen generationenlang auf Tee von First Colony, und es galt als sicher, dass der Gründer dieser Firma einest Königin Victoria selber mit Tee versorgt hatte. Gut, hat meine Grossmutter nie erfahren, dass die Königin mit ihr die Vorliebe für First Colonys königliche Mischung keineswegs teilte. Denn gewiss bereitete meiner Grossmutter diese irrige Meinung das grössere Vergnügen als ich es daraus ziehe, herausgefunden zu haben, dass der Schotte Mc Gill seinen Vorzugstee einfach Königin Victoria widmete, als er um 1870 herum in Norfolk sein Teehandelshaus begründete. Eine verwirrliche Sache ist es ja, dass wir von Tee lernen können, wie sehr Geschichten und Legenden den Geschmack von Dingen zu beeinflussen vermögen.

Die Poesie des Tees mit seinen grossen, klangvollen Namen wie Oolong und Nilgiri, habe ich in Chapel Hill entdeckt. Die University of North Carolina war damals ein relativ überschaubarer Betrieb, der fest in Männerhand ruhte. Das Honors Programm, zu dem ich zugelassen wurde, trug wegen der Last der Aufgaben, auf die wir fünfzig Studenten uns einliessen, den Beinamen “der lebensmüden Fünfzig”. Die Erlaubnis, an diesen Hochleistungskursen teilzunehmen, wurde einem vom Professor im Rahmen einer Einladung zum Tee erteilt, bei der ein Kandidat auf Herz und Nieren geprüft wurde. Als mich der Furchterregendste der Englischprofessoren fragte: “Gehören Sie zum Lager von Darjeeling?”, gab ich ohne Zögern zurück: “Sir, ich stamme aus Forsyth Country.” Dass ich den fremden Namen mit einem Teearoma hätte verknüpfen sollen, war die erste Lektion, die ich bei diesem Mann lernte, und es war zugleich die Lektion, die mir am besten in Erinnerung geblieben ist. Neben dem ewig ins Gedächtnis eingebrannten Darjeeling hatte ich nach dem Abschluss des Studiums zumindest einmal auch Namen wie Formosa, Oolong oder Assam vernommen. Aus einer Laune heraus wechselte ich auf die andere Seite Amerikas, kam nach San Francisco, sah mich um, und sah, dass es gut war. Das war im September 1965.

Ich verliebte mich in Kalifornien und in die Weine dieses Staates. Darüber verfasste ich ein Buch mit dem Titel The Wine Bibber’s Bible, dem ein erstaunlicher Erfolg beschieden war. Gross war meine Begeisterung für meinen neu entdeckten Beruf als Weinkritiker und für das gute Leben, das damit einher ging. Im Laufe der Zeit zeigte es sich leider, dass ich nicht im Stande war, das hierfür erforderliche Opfer der Nüchternheit in ausreichendem Masse zu erbringen. Die Erkenntnis, dass man Alkoholiker ist, versucht man möglichst lange vor sich her zu schieben, doch letztlich hatte ich mir diese Tatsache eben doch einzugestehen. Der Wein, einst mein Freund und mein Geliebter, hatte sich in meinen tödlichen Feind verwandelt. Ohne Hoffnung, hierfür je einen gleichwertigen Ersatz zu finden, wandte ich mich dem Tee zu. Ich tat es so sehr aus Verzweiflung wie aus schlichter Notwendigkeit.

Tee ist Ruhe, und um etwas derart Unaufdringliches auch schätzen zu können, braucht man einen ruhigen Gaumen. Zunächst war Tee für mich einfach eine Flüssigkeit, die sich gefahrlos in grossen Mengen trinken liess. Tee gab mir etwas zu tun, und er befriedigte mein Bedürfnis nach Ritualen. Ich handhabte jetzt nicht mehr Glas und Korkenzieher, sondern Gegenstände, die dem Auge und der Hand eigentlich weit Schöneres boten. Vor allen Dingen entdeckte ich, dass Tee ein soziales Getränk ist, das man mit Freunden trinkt. Nach vielen Monaten stellten meine vom Alkohol gebeutelten Sinne fest, dass Tee zwar nicht berauscht, dass er aber auf ganz eigene Weise “high” macht. Tee führt zu einem Zustand gesteigerter Wachheit, zu einer Gelassenheit und Sorglosigkeit, er rötet die Wangen und verhilft zu geistreicher Konversation. Tee macht heiter. Der Geschmack von Tee war wohl die letzte Eigenschaft, die meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Doch allmählich entdeckte ich, dass es mindestens so viele veschiedene Tees gibt, wie es Weinsorten gibt, und von da an sprach ich von Tee in der Mehrzahl.

Das Buch, das Sie hier in Händen halten, ist die Frucht eines zwanzigjährigen Lebens mit Tee. Es enthält vieles, was ich vorher nicht wusste, und was auch heute noch nicht allzu viele Menschen wissen. Nur ein kleiner Teil davon wird die Menge interessieren, doch wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind, gehören Sie vielleicht zu jenen wenigen Glücklichen, für welche dieses Buch über jenen alten und internationalen Kult entstanden ist, dem wir Teeliebhaber anhängen. Aus unseren esoterischen Ritualen oder aus jenen klangvollen Zauberwörtern des Genusses, aus den Namen unserer Lieblingstees, haben wir noch nie ein Geheimnis gemacht. Wonach wir aber streben, das ist der dauerhafte Genuss, nicht die schnelle Befriedigung. Gerade hierin liegt die Schwierigkeit für die meisten Menschen dieser Welt, die keine Zeit mehr haben für Mysterien, wie wir sie zelebrieren. Offenbar haben wir immer in einem selbstgewählten Elfenbeinturm gelebt. Nun gut, wir sind eine Elite – ein Teeliebhaber, der nicht elitär ist, macht seinen Namen keine Ehre. Deshalb hält man uns alle zusammen für eigenartige, verschrobene, snobistische Käuze. Wir sind “Etepeteetee”, könnte man sagen – sei’s drum, dagegen habe ich nichts einzuwenden!

Jedenfalls ist unsere Zahl im Zunehmen begriffen, und beim Teehandel handelt es sich um einen prosperierenden Wirtschaftszweig. Während es beim Erscheinen meines ersten Teebuchs in meiner Heimat, den Vereinigten Staaten, höchstens zwanzig gute Teeimporteure gab, sind es mittlerweile mehr als 120, ganz zu schweigen von der stetig wachsenden Zahl der Teestuben in unseren Städten. Der amerikanische Teemarkt verzeichnete beim Übertritt ins dritte Jahrtausend ein Umsatzvolumen von vier Milliarden Dollar. Und das Erfreulichste dieser Entwicklung liegt darin, dass unsere chinesischen Freunde uns jetzt in ihre alte Teekultur einweihen und ihre legendären Tees mit uns zu teilen beginnen.

Es heisst, Tee sei gesund, und das ist ganz einfach eine Tatsache. Ich weiss, dass immer mehr Menschen vor allem aus diesem Grund Tee trinken. Trotzdem enthält dieses Buch sehr wenig zum Thema Tee und Gesundheit. Ehrlich gesagt fürchte ich mich ganz einfach davor, den Menschen den Genuss am Tee zu nehmen, wenn ich ihnen sage, dass Tee “gesund” ist. Und vom Genuss handelt dieses Buch, vom Vergnügen, an einer Form kultivierten Lebens teilzuhaben, die seit 5000 Jahren gepflegt wird.

Und jetzt gönne ich mir einen Lung Ching (Drachenbrunnen-Tee), meinen absoluten Favoriten unter den Grüntees der Welt, den ich nach alter chinesischer Sitte aus einem Guywan trinke. Im Aroma dieses klassischen Tees wohnt der Geist Chinas, seine üppig lebendige Präsenz wird mich durch mehrere Aufgüsse hinweg begleiten. Mein Blick schweift über diese Zeilen hinweg in die Nebelschwaden, welche die Bay von San Francisco einhüllen, und ich lausche den Nebelhörnern der Schiffe. Bevor ich mich ins Bett lege, werde ich mir wie immer eine Tasse eines lange gereiften chinesischen Pu-Er-Tees genehmigen, der so gesund ist wie kaum etwas, was Ärzte uns verschreiben. Danach werde ich herrlich schlafen. Was auch immer der morgige Tag bringen wird, gewiss wird Tee dabei sein. Alle seine Geheimnisse und all seinen Zauber zu ergründen, das wird weder diesem noch irgendeinem anderen Buch je gelingen können.